Beschäftigen wir uns zunächst mit der Fragestellung „Wer bewertet unser Handeln?“. Die Antwort ist einfach: Jeder, immer, überall! Unser Handeln wird von jedem Menschen um uns herum kontinuierlich beobachtet und bewertet – ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Fazit – und für mich eines der wichtigsten Dinge, derer man sich als Führungskraft und damit als im Unternehmenskontext besonders sichtbare Person im Klaren sein muss: Man wirkt immer! Und somit wird das eigene Verhalten auch permanent bewertet – bewusst und laut oder unbewusst und leise!

Gleichzeitig kann ein und dasselbe Handeln sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Dinge, die ich für gut und richtig halte, werden von anderen vielleicht als schlecht und falsch bewertet. Worin hat dieser scheinbar paradoxe Effekt seine Ursache? In den individuellen, aber auch gruppenspezifischen Wertesystemen. Unterschiedliche Werte führen zu unterschiedlichen Bewertungen von Verhaltensweisen, denn Werte definieren, was in unseren Augen „richtig“ oder „falsch“ ist. Das bedeutet, dass unser gesellschaftliches Umfeld und unsere kulturelle Prägungen, unsere Erziehung, unser privates soziales Umfeld und letztendlich unser berufliches Umfeld einen Einfluss darauf haben, wie wir bestimmte Handlungen bewerten. Deshalb gilt: Der Versuch, als Führungskraft ein gutes, vorbildliches Verhalten zu zeigen, kann von den uns umgebenden Personen unterschiedlich erlebt werden. 

Wie gehe ich nun als Führungskraft mit diesem Dilemma um?

Einfach gesagt, schwer gelebt: Man muss sich des eigenen Wertesystems bewusst werden, das eigene Handeln reflektieren und es gegebenenfalls aktiv anpassen – Self-Leadership ist hier das Stichwort. Darüber hinaus muss man als Führungskraft fremde Wertesysteme verstehen (wollen), sie als „zulässig“ akzeptieren und in der Interaktion mit den Kollegen berücksichtigen – Values-Based Leadership.

Eine anspruchsvolle Aufgabe im (Führungs-)Alltag, die durch die Verwendung von vereinfachenden Modellen wie der W.E.R.T.-Typologie, einem Ansatz zur wertorientierten Mitarbeiterführung, machbar wird. Man kann sich die Welt auch einfacher machen, indem man Menschen um sich schart, die möglichst kompatibel zum eigenen Wertesystem sind. Das führt jedoch schnell zu einem homogenen Team von „Ja-Sagern“, in dem alle gleich denken und handeln – die Chancen eines heterogenen Teams (erhöhte Produktivität, verbesserte Kreativität, breiteres Spektrum an Fähigkeiten) werden verschenkt – Diversität wird nicht genutzt!

Ein Team von unterschiedlichen Menschen, die unterschiedliche Geschichten und damit auch unterschiedliche Wertesysteme mitbringen, stellt zwar die größere Herausforderung in der Führung dar, bietet aber auch die größere Chance zum Erfolg des Teams.

Wenn ich nun als Führungskraft immer wirke und jeder mein Handeln anders bewertet, wie soll ich dann ethisch, also vertrauenswürdig und fair, führen? Aus meiner Sicht muss jede Führungskraft ihre eigene Antwort auf diese Frage finden. Jedem Menschen und damit auch jeder Führungskraft steht es frei, über sein (Führungs-)Verhalten zu entscheiden, aber auch die Verantwortung für die daraus resultierenden Folgen zu übernehmen. Das ist Führung!