Die wohl erste virtuelle Bürgersprechstunde Deutschlands hat Anfang Mai in Aalen stattgefunden. Herr Oberbürgermeister, sind Ihre Erwartungen an das Pilotprojekt erfüllt worden?

Frederick Brütting: Meine Erwartungen waren, dass wir in ein Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern kommen, dass wir uns das künftige Kombibad gemeinsam in einer digitalen Version anschauen können und dass wir generell Interesse wecken für das Metaverse. Das hat alles funktioniert, weshalb ich sehr happy bin. Klar waren mit diesem ersten Experiment auch einige Befürchtungen verbunden. Man hofft, dass alles gut geht, dass man sich gut versteht und dass die Personen sich zurechtfinden mit der Technik. Und das hat im Großen und Ganzen wirklich gut geklappt. Man merkt: Die Menschen lernen schnell und es ist alles sehr intuitiv. Das hat wirklich Lust auf mehr gemacht.

Ein gutes Stichwort: Haben Sie schon Ideen und Vorstellungen, wie Sie mit dem Metaverse weitermachen?

Für die Stadtverwaltung sehe ich zwei große Anwendungsmöglichkeiten: Zum einen für den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Wir verstehen „Stadt“ nicht nur als die Gruppe derjenigen, die zusammenwohnt. Denn viele Menschen haben Beziehungen zu einer Stadt, können zeitweise aber nicht an diesem Ort sein. Hier ist das Metaverse eine gute Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. Zudem kann man damit Bauprojekte gemeinsam virtuell erleben, diskutieren, Veränderungen vornehmen und damit eben auch zu guten Lösungen in der Realität kommen. Eine virtuelle Begehung der geplanten Gebäude ist sehr viel anschaulicher als herkömmliche Baupläne.


Ich denke, dass das Metaverse viele neue Chancen bietet, um Projekte zu veranschaulichen, greifbarer zu machen und mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren.

Frederick Brütting


Wie ist das Projekt bei den Kolleg:innen in der Stadtverwaltung aufgenommen worden und hat sich dadurch etwas verändert in ihrer Haltung zu Virtual Reality oder dem Metaverse?

Die Kolleginnen und Kollegen sind generell sehr offen an das ganze Thema herangegangen. Bei denjenigen, die bisher noch nicht so viel mit Virtueller Realität zu tun hatten, hat das Projekt auf jeden Fall „Augen geöffnet“. Es hat gezeigt, was mit dieser Technik heute alles möglich ist.

Mit der Erfahrung aus dem erfolgreichen Pilotprojekt in Aalen – was antworten sie anderen Bürgermeister:innen auf die Fragen „Was bringt das?“ und „Soll ich das in meiner Kommune auch machen?“

Ich denke, dass das Metaverse viele neue Chancen bietet, um Projekte zu veranschaulichen, greifbarer zu machen und mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren. In der Kommunalpolitik sollten wir auch nicht allein darauf setzen, dass die Bürgerinnen und Bürger zu uns kommen, sondern wir müssen dort präsent sein, wo sich die Menschen aufhalten und austauschen – und das wird eben immer mehr der virtuelle Raum sein.

Die Hochschule Aalen begleitet das Projekt wissenschaftlich. Herr Professor Weinberger, können Sie schon die eine oder andere Erkenntnis mit uns teilen?

Professor Dr. Markus Weinberger: Wir haben es geschafft, ein sehr heterogenes Publikum anzusprechen. Das Klischee, dass hauptsächlich jüngere Leute aufgrund ihrer höheren Affinität zu technisch anspruchsvollen Themen beim virtuellen Bürgerdialog mitmachen, ist nicht bedient worden: Wir hatten Menschen Mitte zwanzig dabei, aber auch weit über siebzigjährige Teilnehmer:innen – und damit eine sehr schöne Verteilung insgesamt. Genauso hatten wir Menschen mit Erfahrung mit VR und ähnlichen Technologien, aber auch viele, die damit vorher noch nicht in Berührung gekommen waren.

Eine zweite Beobachtung war, dass es bei der Veranstaltung inhaltlich eben nicht, wie man es vielleicht auch erwarten könnte, um technische Themen und Digitalisierungsfragen ging. Ganz im Gegenteil: Die Inhalte waren bestimmt durch Themen, die die Bürger interessieren und im Leben der Stadt eine große Rolle spielen.

Noch mal zurück zur Technik: Wie weit vorne ist die Stadtverwaltung Aalen im nationalen und im internationalen Vergleich mit der erfolgreichen Umsetzung eines Bürgerdialogs im Metaverse?

Weltweit spielt das Thema Smart City in vielen Städten und Kommunen eine immer größere Rolle. Entsprechend breit ist es in der wissenschaftlichen Literatur vertreten und wird auch immer mehr mit dem Metaverse in Verbindung gebracht. Dabei werden alle möglichen Anwendungen diskutiert, sehr viele konkrete Umsetzungen gibt es aber noch nicht.

Beispiele für ein Town Hall Meeting im Metaverse haben wir in der wissenschaftlichen Literatur und bei einer allgemeinen Internetrecherche ebenfalls keine gefunden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt die Stadt Aalen hier also sehr weit vorne – wenn es nicht sogar der erste erfolgreiche Versuch überhaupt war, so etwas tatsächlich im Internet durchzuführen.