Dr. Richter, wenn es um die Digitalisierung der Verwaltung geht, wird Estland häufig als Musterschüler genannt. Nerven Sie diese ständigen Vergleiche manchmal?

Nein, das tun sie nicht. Wir haben eine enge Kooperation mit Estland, aber auch mit Dänemark und Österreich, die bei diesem Thema weiter sind als wir. Aber ich sage auch, dass wir uns nicht verstecken müssen: wir sind innovationskräftig, haben viele tolle Start-ups, unsere Verwaltung ist auch in Krisenzeiten robust und wenig anfällig für Korruption. 

Aber das ist nicht genug ...

Richtig. Im Gegensatz zu Estland sind wir eben deutlich komplexer aufgestellt. Wir haben nicht in den 1990er Jahren auf der grünen Wiese angefangen, sondern haben eine große, gewachsene Bestandslandschaft. Im Vergleich zu Österreich sind bei uns Daten überwiegend auf kommunaler Ebene gespeichert, in Österreich auf Bundesebene. Wir haben zum Beispiel 5.000 Melderegister in Deutschland, während es in Österreich nur eines gibt. 

Sie haben Kooperationen mit drei Ländern angesprochen. Gibt es weitere?

Ja, zum Beispiel mit Frankreich im Bereich eines Open-Source-Arbeitsplatzes. Wir haben das Zentrum für digitale Souveränität gegründet, das in der Lage ist, einen solchen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Da Frankreich einen ähnlichen Ansatz verfolgt, macht hier eine Kooperation Sinn.

Welchen Blick haben Sie generell auf Open Source?

Ich halte Open Source für sehr wichtig und bin stolz darauf, dass Deutschland auf diesem Gebiet ein Vorreiter ist. Wir werden zu unserem Know-how von vielen Staaten und auch von den Vereinten Nationen angefragt.

Und Open Source ist auch ein Teil der deutschen Cloud-Strategie.

Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir diese Cloud-Strategie nicht nur auf Bundesebene zwischen den Ressorts, sondern auch mit allen Bundesländern und den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt haben. Die Cloud-Strategie gilt heute also für alle Ebenen und sieht eine Multi-Cloud vor, die auf drei Säulen basiert: Erstens gibt es abhängig von der Kritikalität der Daten die Möglichkeit, Public Cloud Services zu nutzen, zweitens gibt es die Möglichkeit, dass wir von Anbietern in geschützten Umgebungen Cloud Services betreiben, und drittens gibt es den Open-Source-Ansatz mit maximaler Transparenz.


Wir dürfen beim Thema digitale Souveränität nicht in Autarkie verfallen.

Dr. Markus Richter, CIO Bund


Wenn wir über die Cloud-Strategie sprechen, sind wir auch ganz nah an den Themen europäische Zusammenarbeit und digitale Souveränität ...

... auf jeden Fall. Für viele ist digitale Souveränität derzeit ein Buzzword, für mich ist sie absolut essenziell, auch wenn wir an IT-Sicherheit denken. Wichtig ist aber auch, dass wir beim Thema Souveränität nicht in Autarkie verfallen dürfen, denn es geht nicht darum, Dinge zu verbieten und die Lösungen bestimmter Anbieter nicht mehr zu nutzen. Im Gegenteil, wir müssen mehr aktivieren und Wettbewerb durch Möglichkeiten schaffen – zum Beispiel mit Gaia-X.

Ein seit Jahren laufendes europäisches Projekt für ein digitales Ökosystem aus vernetzen Datenräumen auf Open-Source-Basis, bei dem noch die Geschwindigkeit fehlt.

Absolut. Und das bringt mich zu einem wichtigen Punkt, wenn es um Europa geht: Wir haben in Europa vieles harmonisiert, einen guten Rechtsrahmen geschaffen und jüngst tolle Fortschritte erzielt. Aber jetzt müssen wir die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten viel stärker in den Fokus rücken. Da sind wir heute noch viel zu sehr in Inseln unterwegs und verlassen uns auf bidirektionale Verbindungen. 

Sie wollen im Digitalen also noch mehr Miteinander in Europa?

Kurz und knapp: ja. Und Deutschland kann hier in eine Führungsrolle schlüpfen, weil wir viel Erfahrung darin haben, Zusammenarbeit in einem föderalen Gefüge zu strukturieren. Wir müssen Projekte von vornherein gemeinsam aufsetzen und gemeinsame Tools nutzen. 

Lassen Sie mich noch eine letzte Frage zur Digitalisierung in Deutschland stellen. Wenn Sie aus den vielen Projekten nur ein einziges realisieren könnten, welches wäre das?

Für mich ist das wichtigste Digitalprojekt die Wallet. Das heißt, elektronische Identitäten gepaart mit einer Wallet, die ich mobil nutzen kann, um mich zu authentifizieren, Daten zu nutzen sowie Dokumente oder Daten sicher abzuspeichern. Das durchdringt auch in der Privatwirtschaft alle Bereiche und macht uns das Leben deutlich leichter. 

Das komplette Gespräch hören Sie im IT-Zukunftspodcast Basis 108.
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Zur Person.

Dr. Markus Richter ist seit Mai 2020 Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und für Heimat und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik des Bundes (CIO). Zu seinen Aufgaben gehört es, die entscheidenden Weichen für eine moderne und sichere IT-Landschaft des Bundes zu stellen. Er wird bei allen strategischen Fragen des IT-Einsatzes in der Bundesverwaltung sowie an allen Gesetzgebungsverfahren und Regierungsvorhaben beteiligt, die wesentliche Auswirkungen auf die Gestaltung der IT der öffentlichen Verwaltung haben.