Wie Führung in der Krise wächst – Der Aufsichtsrat als Möglichmacher.

 

Wie können Aufsichtsrät:innen in Zeiten wachsender Unsicherheit Orientierung geben und Erneuerung ermöglichen? Beim DKAR-Sommerempfang in München diskutierten Persönlichkeiten mit unternehmerischer Erfahrung und strategischem Weitblick die Fragen, die das Mandat heute prägen. 

Und das Sommerhoch 2025 heißt: DKAR!

Die Aufsichtsräte, die sich am 9. Juli in München auf Einladung der Initiative „Digitalkompetenz im Aufsichtsrat“ trafen, sind Persönlichkeiten im besten Sinne des Wortes. Sie verkörpern individuelle Werte, für die sie geschätzt werden — und wegen derer sie ins höchste Unternehmensgremium berufen wurden.

Die meisten bringen unternehmerische Erfahrung mit. Dazu gehört, Chancen und Risiken gleichermaßen abzuwägen. In Zeiten der sogenannten Stapelkrisen – der multiplen Herausforderungen enormen Ausmaßes – sind diese so vielfältig und dynamisch, dass eine Aufzählung bereits überholt wäre, noch bevor dieser Artikel erscheint.

Was die Teilnehmer des Sommerempfangs eint, ist ihre Einstellung. Sie sind nicht die, die sagen: „Dann ist es halt so“, sondern die, die fragen: „Was kann ich, was müssen wir tun, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein?“

Darum geht es bei der Initiative „Digitalkompetenz im Aufsichtsrat“: um den Dialog auf Augenhöhe, einen offenen und konstruktiven Austausch zu Themen von aktueller und strategischer Relevanz – begleitet von kurzen Beiträgen namhafter Impulsgeber.

 

Volles Haus, gute Gespräche: Anders als manche Wettervorhersage, erfüllte das DKAR-Sommerevent alle Erwartungen.

Wir sind der freundlichen Einladung von Herrn Professor Dr. Burkhard Schwenker gefolgt und haben in den Räumen von Roland Berger in München über drei der wichtigsten strategischen Fragen gesprochen:

  • Was bedeutet das Zeitalter der „Bad Surprises“ (Davos 2025) für die Arbeit des Aufsichtsrats?
  • Wie verbinden wir Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit?
  • Wie schaffen wir ein Gleichgewicht zwischen dem Kerngeschäft von heute und den Geschäftsmodellen von morgen?

„Wir brauchen ein anderes Gefühl für Strategie“ (Prof. Dr. Burkhard Schwenker).

Professor Schwenker gibt dem Tag sogleich ein Fundament und eine Vision. Der Aufsichtsrat sollte bewusst die Gewichte verschieben – zwischen Kerngeschäft und Zukunftsgeschäft – in einer Welt, in der es keine objektive Stabilität mehr gibt.

 

Wir müssen uns von der Illusion der Berechenbarkeit verabschieden. Wir brauchen ein anderes Gefühl für Strategie – was sie bedeutet, welche Ziele man setzen kann und wie sie verfolgt werden können.

Die Arbeit in dynamischen Szenarien statt vermeintlicher Planungssicherheit, Neugier statt Erfahrungspanzer, Selbstreflexion statt Selbstzufriedenheit. Burkhardt Schwenker ist überzeugt: Aufsichtsräte müssen nicht nur das Unternehmen erneuern, sondern sich selbst. Er verweist auf das „Innovator’s Dilemma“ von Clayton Christensen: Gerade erfolgreiche Organisationen tun sich schwer, Ressourcen in die Zukunft zu lenken. Der Aufsichtsrat könne hier der Katalysator sein — wenn er es selbst vorlebt.
 

Es muss die entscheidende Aufgabe des Gremiums sein, im Dialog mit dem Vorstand bessere Lösungen zu finden – gerade in der Ungewissheit.

Er tut das durch seine Haltung und seine Fragen — und durch seine eigene Bereitschaft zur Erneuerung. Nur so lässt sich die Balance zwischen Stabilität auf der einen und Erneuerung auf der anderen Seite halten. Die Kenntnis über die Möglichkeiten digitaler Technologien gehören dabei zwingend zum Repertoire heutiger Aufsichtsrät:innen.

 

„Die Digitalisierung ist so tiefgreifend – jedes Mitglied muss sich selbst damit auseinandersetzen. Das kann man nicht an eine einzelne Person oder einen Ausschuss delegieren“, Professor Dr. Burkhard Schwenker.

Auch wenn die Vielzahl an Themen und das Zusammenwirken der unterschiedlichen Komponenten immer komplexer wird – zur professionellen Aufsichtsratsarbeit gehört, sich laufend damit auseinanderzusetzen. Das führt, so Professor Schwenker, auch zu immer mehr Graubereichen im Strategiebild. Doch Unsicherheit ist kein gern gesehener Gast in den Ausschüssen. Hier sollte eigentlich über konkrete Zahlen diskutiert werden. Darin sieht Professor Schwenker jedoch ein Anzeichen für eine nicht mehr zeitgemäße Entscheidungslogik. Aus seiner eigenen Arbeit kennt er die Tücken der Planung.

 

Je genauer die Zahlen in einem Spreadsheet, desto größer oft die Illusion von Sicherheit. Die Bereitschaft zu sagen: ‚Ich weiß es nicht‘, und trotzdem Orientierung zu geben, ist eine besondere Anforderung an Führung.

Je größer die Unsicherheit, desto enger wird die Wagenburg.

Mit Rainer Karcher und Anthea Wagner tauchen die Teilnehmer in eine der eingangs erwähnten Stapelkrisen ein. Sie nehmen die Impulse von Professor Schwenker auf und lenken die Aufmerksamkeit auf das nach wie vor brennende Thema Nachhaltigkeit. Zwar findet sich der Begriff „Enkelfähigkeit“ bereits in zahllosen unternehmerischen Verpflichtungen. Doch wer hat sich diese Frage schon einmal aus der Perspektive der nachfolgenden Generation gestellt? „Will ich als mögliche Nachfolge überhaupt ein solches Unternehmen weiterführen?“ Ein kleiner, aber sehr wirkungsmächtiger Impuls, den Karcher und Wagner hier geben.


Unternehmerische Nachhaltigkeit ist kein Briefing für die PR-Abteilung, sondern die Verpflichtung aller Wirtschaftstreibenden, eine aus ihrer Sicht lebenswerte Zukunft zu hinterlassen.


Auch wenn sich in diesem Bereich schon einiges getan hat: Die Anstrengungen zur Vermeidung und Kompensation reichen bei Weitem nicht aus. Im schweizerischen Davos machte der Begriff des „Age of bad surprises“ die Runde. Wir werden ständig von Ereignissen überrascht, die wir nicht erwartet haben — aber hätten erwarten können. Schließlich sammeln wir seit Jahrzehnten Daten, die wir in immer mächtigere Vorhersagemodelle stecken. Wir wissen eigentlich, was zu tun ist. Einen wesentlichen Hebel hat Rainer Karcher identifiziert: die sogenannte Twin Transformation, der Schulterschluss von Technologie und Nachhaltigkeit.
 

„Ohne Digitalisierung bleibt Nachhaltigkeit ineffizient. Und ohne Nachhaltigkeit zerstört Digitalisierung ihre eigene Zukunft“, Anthea Wagner, Rainer Karcher.

 

Doch auch hier gilt: schnelles Handeln allein löst keine Probleme, sondern schafft im Zweifelsfall neue. „Wir brauchen Kontrolle und Vertrauen in die Systeme“, schärft Karcher den Teilnehmenden ein.

Die linke Hand muss was anderes spielen als die rechte Hand.

Julia Duwe übersetzt dies in die praktische Arbeit des Aufsichtsrats. Es geht nicht darum, starre Strukturen zu schaffen, sondern situativ zwischen Effizienz und Innovation zu wechseln, je nachdem, was die Situation erfordert. Gerade in Zeiten von Stapelkrisen zeigt sich diese Gleichzeitigkeit in einer neuen Qualität.

 

Während ich meinen Job als Aufsichtsgremium mache, verändert sich draußen die Welt so stark, dass das, was ich gerade tue, im Extremfall schon veraltet ist. Und damit muss ich mich auseinandersetzen.

Dr. Julia Duwe ist Expertin auf dem Gebiet. Sie hat gerade ein Buch veröffentlicht: „Aufsichtsrat 2030: Wie Aufsichtsräte durch Ambidextrie die Weichen für die Zukunft stellen“. Auf dem Sommerevent ist sie Brückenbauerin zwischen Theorie und Praxis. Denn so wichtig „Information“ und „Reflexion“ auch sein mögen – was am Ende zählt, ist die konkrete „Aktion“.

 

„Wir haben zwei Transformationen: im Unternehmen und im Aufsichtsrat. Dafür brauchen wir eine zweifache Ambidextrie“, Dr. Julia Duwe

 

Im Unternehmen geht es darum, das Kerngeschäft weiter profitabel zu betreiben und gleichzeitig das Geschäft von morgen aufzubauen. Aufgabe des Aufsichtsrats ist es, diesen Spagat zu begleiten – durch aktive Kooperation, strategisch wie beratend. Dass dabei nicht in das operative Tagesgeschäft eingegriffen werden darf, ist eine weitere Herausforderung, für die es eine abgestimmte Rollenverteilung unter allen Beteiligten braucht. Auch das Aufsichtsgremium selbst befindet sich in Transformation: Es muss einerseits verlässliche Gremienarbeit gewährleisten und gleichzeitig bereit sein, die eigene Rolle infrage zu stellen. „Bin ich überhaupt noch up to date? Kann ich mit KI umgehen? Habe ich die neuesten Nachhaltigkeitsthemen auf dem Tisch?“ Für Julia Duwe ist klar:

 

Wenn man mit dieser Veränderungsbereitschaft an die Arbeit geht, dann ist das Aufsichtsratsmandat heute ein anderer Beruf, als er vorher einmal war.

So vertraut der Begriff der Ambidextrie dem ein oder anderen sein mag – viele der Teilnehmenden fühlen sich animiert, ihr Wissen in diesem Bereich noch einmal aufzufrischen. Auch das DKAR-Team ist sich sicher, dass dies nicht die letzte Veranstaltung zu diesem Thema war.

Vom anregenden Miteinander zum „einsamen Brokkoli“.

Jeder Tag – und sei er noch so spannend – geht irgendwann einmal zu Ende. Doch dieses Mal waren die anschließenden Gespräche im „Lonely Broccoli“ in München-Schwabing besonders intensiv, fast wie ein Workshop in kleiner Runde. Die Mission der Initiative „Digitalkompetenz im Aufsichtsrat“ hat sich wieder einmal erfüllt: der Austausch auf Augenhöhe, ohne Scheuklappen, unter gleichgesinnten Wegebereitern der digitalen Transformation in Deutschland.


Zu sagen, dass sich alle auf den nächsten Termin freuen, ist dann auch eine zurückhaltende Untertreibung. Wir danken allen Teilnehmenden des DKAR-Sommerevents für ihre Beiträge und ihr Engagement und freuen uns auf das nächste Mal.